Es geht los: Die ersten Messen finden wieder statt. Unter dem jeweiligen behördlichen Coronadiktat.
In Düsseldorf ging vom 30. August bis zum 1. September als erste Messe der Modebranche die Gallery Fashion & Shoes über die Bühne; sie war übrigens auch vom 8. bis 10. März als letzte Branchenmesse vor dem Lockdown
veranstaltet worden. Veranstalter wie Aussteller waren sich jetzt einig: Die Gallery war bestens organisiert und besser als erwartet.
Okay, aber was heißt das schon? Die Erwartungen der Teilnehmer waren dank der großen Verunsicherung
de facto nahe Null. Vermutlich fast jeder Aussteller oder Besucher checkte noch am frühen Morgen seine Nachrichten, bevor er sich auf den Weg nach Düsseldorf machte. Würde die Messe noch im letzten Moment abgesagt werden? So war es der Offenbacher Lederwarenmesse ILM ergangen, die vom dortigen Oberbürgermeister Dr. Felix Schwenke mit Hinweis darauf, dass kurzfristig der vom Land gezogene Grenzwert
der Corona-Infizierten leicht – um neun Personen pro 100 000 Einwohner – überschritten wurde. Hätte man nur wenige Tage gewartet, so hätte die Messe wie geplant stattfinden können. Übrigens, als die ILM hätte starten sollen, da lag der sogenannte Inzidenzwert im Kreis Offenbach Stadt gerade einmal bei 11 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner in einer Woche – also weit entfernt von irgendwelchen kritischen Grenzwerten.
Die Blicke der Branche richten sich nun nach Mailand. Vom 20. bis 23. September werden dort die Schuhfachmesse Micam sowie die Lederwarenmesse Mipel stattfinden. Parallel dazu läuft am 22. und 23. September das neue, abgespeckte Format der Lineapelle: A New Point of View. 320 Aussteller haben dort laut Veranstalterangaben einen der kleinen Einheitsstände gebucht. Das ist nur ein Viertel der Firmen, die normalerweise auf der Lineapelle ausstellen. Der Einbruch ist damit noch größer, als er es in Düsseldorf
war.
Aber es ist gut, dass die ersten Messen wieder ihre Pforten öffnen. Die Marktteilnehmer haben es satt, sich nur noch auf Online-Meetings bei Zoom oder Microsoft Teams zu sehen. In Düsseldorf auf der Gallery war deutlich zu spüren, wie sehr sich die meisten darüber freuten, endlich wieder einmal „unter Menschen“ zu sein. Live, auch wenn die Maske ein leidiger Störfaktor ist.
Doch wer denkt, die heutigen Messen sind einfach die Fortsetzung der Messen aus der Vergangenheit, der liegt leider falsch. So jammerten viele der italienischen Aussteller auf der Gallery – die beispielsweise auf dieser Messe Orders schreiben müssen, weil sie keine großen Außendienstorganisationen in Deutschland haben – darüber, dass sie nur kleine Aufträge für Frühjahr/Sommer 2021 reingeholt hätten. Aber wo soll mehr herkommen?
Der deutsche Schuheinzelhandel lag per Ende Juli aufgelaufen mit 27 Prozent im Umsatzminus. Durch den wochenlangen Lockdown war die Frühjahrsware im Einzelhandel nicht abgeflossen und viele Schuhe werden vom Handel ins nächste Jahr mitgenommen. Damit kommt die Absatzkrise nun mit voller Härte in der Industrie an, die ohnehin etwa in Deutschland im ersten Halbjahr schon einen Umsatzrückgang um 21 Prozent hinnehmen musste. Und diese Zahlen sind noch vergleichsweise gut, wenn man einen Blick in andere europäische Länder wirft: Italiens Schuhindustrie beispielsweise hat im ersten Quartal über 38 Prozent ihres Vorjahresumsatzes verloren.
Trotz der großzügigen Kurzarbeitergeldregeln hierzulande lassen sich bereits die Konsequenzen erkennen. Zwar ist der Mitarbeiterstand in der deutschen Schuhindustrie per Ende Juni sogar leicht über Vorjahr gewesen, aber für die kommenden Monate werden von immer mehr Unternehmen Entlassungen angekündigt. Dass Lloyd
seine Produktion in Deutschland schließt, hatten wir bereits in der letzten Ausgabe berichtet. Jetzt kündigte die Konzernmutter Ara auch für den Stammsitz in Langenfeld einen Stellenabbau an.
Und mehr und mehr liegen, angesichts der desaströsen geschäftlichen Situation, die Nerven bei den Marktteilnehmern blank. Jetzt hat der Bundesverband der Deutschen Schuh- und Lederwarenindustrie
(HDS/L) einen offenen Brief an den Offenbacher Oberbürgermeister Dr. Felix Schwenke, den hessischen Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, Tarek Al-Wazir und den hessischen Minister für Soziales und Integration, Kai Klose gerichtet: „Vom 30. August bis 1. September 2020 hat die Gallery Shoes in Düsseldorf mit 300 Ausstellern und 550 Brands stattgefunden. Das dortige Sicherheitskonzept zeigt, dass Messen trotz schwieriger Umstände erfolgreich durchgeführt werden können. Außerdem ist uns unverständlich, dass im Landkreis Offenbach in Mainhausen fast zeitgleich (Anm. d. Red.: zur ILM) vom 8. bis 10. September die ANWR Order Spring 2021 stattfinden kann. Wir sind uns sicher, dass das hervorragende Hygienekonzept der Messe Offenbach für die ILM als Fachmesse ohne öffentliches Publikum die Sicherheit der Fachbesucher und des
Standpersonals gewährleistet hätte. Wir fordern, dass die durch die Messeabsage finanziellen Belastungen der Aussteller, die ohnehin extrem durch die Folgen der Corona-Pandemie belastet sind, von Ihnen entschädigt werden,“ heißt es in dem von den HDS/L-Vorstandsmitgliedern Achim Bruder, Christiane Brunk und Georg Picard sowie von Hauptgeschäftsführer Manfred Junkert unterzeichneten Schreiben. Und weiter: „Die Talsohle
ist für unsere Branche bei weitem nicht durchschritten, wie andere Akteure suggerieren. Gerade aus diesem Grund war die ILM jetzt im September so entscheidend, um bestehende Geschäftsbeziehungen zu pflegen und auszubauen und neue Geschäfte anzubahnen.“
Wir haben an dieser Stelle von Anfang an davor gewarnt, dass die in der Geschichte dieses Landes noch nie dagewesenen Vorkehrungen zur Eindämmung einer Pandemie überzogen gewesen sein könnten, dass die Kollateralschäden weit größer sein könnten, als die Gefahren des Nichthandelns. Inzwischen mehren sich sogar die Stimmen aus dem Regierungslager, dass der Lockdown der gesamten Volkswirtschaft, im Nachhinein betrachtet, eine Fehlentscheidung war. Das, was uns hier von der Politik eingebrockt wurde, haben wir alle nun auszulöffeln.
Manfred Willsch